Erste Erfahrungen mit dem russischen Sprachzertifikat
»Test po russkomu jazyku kak inostrannomu (TRKI)«
in Nordrhein-Westfalen 2001.

Im Fremdsprachenunterricht gewinnen außerschulische standardisierte Zertifikate wie z.B. APIEL, TOEFL, DELF und DELE an Bedeutung. Schülerinnen und Schüler sind daran interessiert, zusätzlich zu ihrer schulischen Qualifikation international anerkannte Zertifikate zu erwerben, die ihnen Vorteile bei Bewerbungen und Hochschulzugang verschaffen und bereiten sich intensiv auf diese Prüfungen vor. Dem Fremdsprachenunterricht kommt nicht nur die gesteigerte Motivation und Leistungsbereitschaft zugute, auch manche Aufgabenformen geben wichtige Impulse zur Weiterentwicklung des Unterrichts.

Im Russischunterricht verbindet sich mit dem Sprachzertifikat die Hoffnung, Schülerinnen und Schüler durch die Aussicht auf eine bereits nach wenigen Lernjahren erreichbare Zertifikatsstufe zum Russischlernen ermutigen und zum Weiterlernen motivieren zu können. Der Kooperationsvertrag des Deutschen Russischlehrerverbandes mit dem Russischen Bildungsministerium ermöglichte im letzten Jahr ein bundesweites Pilotprojekt zur Erprobung des staatlichen russischen Zertifikats TRKI. Von den sechs möglichen Niveaustufen dieses Zertifikats ("elementarnyj i bazovyj urovni"; "pervyj, vtoroj, tretij i chetvjortyj certifikacionnye urovni") wurden bei diesem Probelauf zwei Niveaus angeboten: "elementarnyj uroven'" und "pervyj certifikacionnyj uroven'".

Das "Elementarnyj uroven'" ist die erste mögliche Prüfungsstufe. Es attestiert elementare allgemeinsprachliche Kenntnisse in einfachen Alltagssituationen. Die russischen Testautoren setzen 100-120 Unterrichtsstunden als Voraussetzung an. Das mag für spracherfahrene Erwachsene unter strikten Intensivkursbedingungen gelten, trifft aber sicher nicht auf Russischlernende in der Schule zu. Hier kann man eher davon ausgehen, dass das Elementarniveau für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler eines in Kl. 9 einsetzenden Differenzierungskurses am Ende von Klasse 10 bzw. bei in der Jahrgangsstufe 11 einsetzenden Kursen am Ende der Jahrgangsstufe 12 erreichbar ist.

Für das "Pervyj certifikacionnyj uroven'" setzen die russischen Autoren 440-500 Unterrichtsstunden voraus, unter schulischen Bedingungen sollte es für Russischlernende ab dem 4. Lernjahr erreichbar sein. Dieses Zertifikat gilt als sprachliche Zugangsberechtigung für russische Hochschulen und kann daher auch für Schülerinnen und Schüler mit russischsprachigem Hintergrund interessant sein.

Während die Prüfungsgebühren vor allem für englische Sprachzertifikate z. T. erheblich sind, orientiert sich der Preis von DM 35,00 für das russische Zertifikat an dem Satz für Schülerprüfungen zum französischen DELF. Parallelen zu den DELF-Zertifikaten bestehen auch in der Zielsetzung, zum Lernen und Weiterlernen der Sprache zu motivieren. Wie die DELF-Zertifikate sind erfolgreich abgelegte TRKI- Prüfungen unbefristet gültig. Eventuell nicht bestandene Prüfungsteile werden allerdings nicht gegen bestandene Teile aufgerechnet, sondern können innerhalb von zwei Jahren wiederholt werden.

Besonderer Leistungsansporn entsteht durch externe muttersprachliche Prüferinnen und Prüfer und durch außerschulische Prüfungsorte. Leider gibt es noch kein Netz russischer Kulturinstitute in Deutschland, daher fanden die Prüfungen außer in Berlin, das über ein Russisches Haus verfügt, in den Bundesländern in zentral gelegenen Schulen statt. In NRW übernahm das Düsseldorfer Luisen-Gymnasium die Prüfungsorganisation für die insgesamt 14 Prüflinge aus Leverkusen, Krefeld und Düsseldorf.

Im Auftrag der russischen Prüfungskommission führte die Schule am 21. September 2001 anhand der zugesandten Prüfungsunterlagen die schriftlichen Prüfungen und die Prüfung zum Hörverstehen durch und sandte die Prüfungsunterlagen über den Bundesverband an die russische Prüfungskommission zurück. Die reine Prüfungszeit betrug für das Elementarniveau insgesamt 2 Std. 30 Min., für das Erste Zertifikationsniveau 2 Std. 40 Min. Für beide Niveaus gliederte sich die Prüfung in die Teile Leksika i grammatika, Chtenie, Pis'mo und Audirovanie. Die Prüflinge des Elementarniveaus konnten beim Prüfungsteil "Pis'mo" ein deutsch-russisches und beim Prüfungsteil "Chtenie" ein russisch-deutsches Wörterbuch benutzen, für das 1. Zertifikatsniveau war bei diesen Teilen ein einsprachiges Wörterbuch zugelassen. Zeitliche Schwierigkeiten bereitete der Hörverstehensteil, da die Aufnahme nicht nur den Hörtext, sondern auch die Antwortalternativen enthielt, wodurch die Abspielzeit unnötig ver-längert wurde. Auch die anderen Prüfungsteilen enthielten kleinere Ungereimtheiten, Druckfehler, missverständliche Auswahlantworten, die aber geklärt werden konnten, ohne größere Störungen zu verursachen. Vom Hörverstehensteil abgesehen war die Prüfungszeit ausreichend bemessen, die Prüflinge des Elementarniveaus allerdings brauchten für alle Aufgaben ihre volle Konzentration und hätten sich weniger umfangreiche Teilprüfungen gewünscht.

Inhaltlich wurden die Aufgabentypen auf mehreren vorbereitenden Tagungen, bei denen zum Teil auch russische Organisatoren und Testautoren mitwirkten, überprüft, überarbeitet und mit vielfältigen Alternativvorschlägen versehen. Leider wurden für den Probelauf nur wenige Kritikpunkte und Anregungen berücksichtigt. Beispielsweise war ein wesentlicher Kritikpunkt die Aufgabenstellung zu Lexik und Grammatik, die aus unverbundenen Einzelsätzen ohne kommunikativen Zusammenhang bestand, außerdem sollte der Umfang der insgesamt 100 Items auf die Hälfte reduziert werden. Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt betraf die Textvorlagen und Aufgabenstellungen für den Leseverstehensteil. Die Texte sollten authentisch, jugendorientiert, kommunikationsrelevant und abwechslungsreich, die Aufgabenstellung komplexer ausfallen. Berücksichtigt für den Probelauf wurde nur eine schnell machbare technische Änderung, die Kürzung der Zahl der Items für den Lexik- und Grammatikteil auf (immer noch) 70. Bleibt zu hoffen, dass für wesentliche Änderungen die Zeit nicht reichte, der Wille aber vorhanden ist.

Zu den mündlichen Einzelprüfungen reisten zwei Prüferinnen der Moskauer Universität durch die Bundesländer. In NRW prüften sie am 12. Dezember 2001 im Luisen-Gymnasium Düsseldorf. Während die schriftliche Prüfung sich nicht wesentlich von einer schulischen Klausuratmosphäre unterschied, brachte die Anwesenheit der russischen Prüferinnen den "echten", außerschulischen Charakter der Prüfung zur Geltung. Entsprechend aufgeregt waren die Prüflinge, auch die Muttersprachler trotz ihrer zweifellosen Kompetenz. Die Prüflinge auf Elementarniveau - Abiturienten, die in der 9. und 10. Klasse Russisch gelernt und seither in einer einstündigen Arbeitsgemeinschaft gegen das Vergessen gekämpft hatten, erlebten die Kombination aus Prüfungssituation und sprachlichem Ernstfall als ungeheure Herausforderung und waren sehr stolz, diese Aufgabe bewältigt zu haben. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass sie mit gewachsenem Selbstvertrauen in die mündliche Abiturprüfung gehen. Die Prüflinge für das Erste Zertifikatsniveau - Schülerinnen und Schüler der Klassen 10 bis 13 aus russischsprachigen Familien - überwanden rasch ihre anfängliche Anspannung und waren sichtlich froh, ihre Sprachgewandtheit im Russischen vor Prüferinnen der Moskauer Universität beweisen zu können.

Die Prüfungsaufgaben für den mündlichen Teil bestanden aus drei Aufgaben, einem mündlichen Vortrag, für den 10 Minuten Vorbereitungszeit zur Verfügung standen und zwei Aufgaben zu Dialogsituationen. Insgesamt betrug die Prüfungszeit ca. 20 Minuten. Zur Verdeutlichung des Anspruchsniveaus sind im Anhang Aufgabenstellungen und Bewertungsbögen für mündliche und schriftliche Prüfungsaufgaben beigefügt. Im Russischunterricht eignet sich die Vorbereitung der Zertifikatsprüfungen auch zur Unterstützung des selbstständigen, zielgerichteten Lernens in Verbindung mit dem Europäischen Portfolio der Sprachen und den Kompetenzstufen des Europäischen Referenzrahmens für das Lehren und Lernen von Sprachen. Das Testsystem TRKI ist mit den Zertifikaten der Association of Language Teachers in Europe (ALTE) abgestimmt, die Zuordnung der Prüfungen zu den Europäischen Kompetenzstufen sollte allerdings überprüft werden.

Insgesamt ist das Pilotprojekt in NRW positiv verlaufen. Zwar stehen die Ergebnisse der Prüfungen noch nicht fest, doch ist nach eigenen Beobachtungen und Gesprächen mit den Prüferinnen nicht mit großen Ausfällen zu rechnen.

Für die russischsprachigen Prüflinge sollte in Zukunft der Empfehlung der vorbereitenden Arbeitsgruppe gefolgt werden, für die Sekundarstufe I das zweite Zertifikatsniveau und für die gymnasiale Oberstufe das dritte Zertifikatsniveau anzustreben. Diese Prüfungen beinhalten anspruchsvolle Themen und Textsorten, die auch für den Unterricht von Interesse sein können.

Die Schülerinnen und Schüler, die Russisch zwei Jahre lang regulär in der Differenzierungsstufe als Fremdsprache lernten, waren mit den Prüfungen zum Elementarniveau gefordert, aber nicht überfordert. Sie bereiteten sich hochmotiviert auf die Prüfungen vor und machten deutliche Lernfortschritte.

Wenn die Zertifikatsprüfungen in Zukunft auf breiter Basis angeboten werden sollen, müssen sowohl inhaltliche als auch organisatorische Probleme gelöst werden. Inhaltlich muss sichergestellt werden, dass die Aufgabenstellungen regelmäßig überarbeitet werden und aktuelle Ergebnisse der Fremdsprachenforschung und Pädagogik berücksichtigen. Für die Prüfungsorganisation muss gemeinsam mit der russischen Seite ein verlässlicher Rahmen geschaffen werden. Ein geeigneter Prüfungsort für Nordrhein-Westfalen könnte das Russicum im Landesspracheninstitut Bochum sein. Vielleicht wäre es auch möglich, Zuschüsse zu Prüfungsgebühren und Fahrkosten wie in diesem Jahr mit der Russischolympiade zu verknüpfen.

Abschließend sollen die Hauptakteure des Pilotprojektes, die Prüflinge selbst, zu Wort kommen. Sie waren mit dem Angebot und Prüfungsverlauf des russischen Sprachenzertifikats durchweg zufrieden. Hier ihre schriftlichen Stellungnahmen in Auszügen:

"Ich finde es toll, dass überhaupt eine Möglichkeit besteht, seine sprachlichen Fähigkeiten in Russisch von unabhängigen Experten beurteilen zu lassen."

"Ich habe mich entschieden, diese Prüfung zu machen, da ich ein staatliches Zertifikat haben wollte, das das Niveau meiner Sprachkenntnisse beweisen kann. Dieses Zertifikat kann mir bei meinem Studium in der Universität behilflich sein."

"Ich habe an der Russischprüfung teilgenommen, um den schriftlichen Beweis zu haben, dass ich Russisch beherrsche. Das kann später meine Berufschancen erhöhen."

"Ich habe einen sehr guten Eindruck bezüglich der Prüfung und des Verfahrens. Ich finde, das Ganze wurde auf sehr hohem Niveau durchgeführt. Außerdem denke ich, dass es wichtig war, dass Lehrkräfte aus dem Land kamen, wo diese Sprache Muttersprache ist."

"Den mündlichen Teil fand ich sehr gut organisiert. Die Vorbereitungszeit war angemessen und die formulierten Fragen forderten das Elementarwissen für eine Selbstbeschreibung ab. Die Prüferinnen waren sehr freundlich, was zu einer lockeren Atmosphäre führte, in der man seine Nervosität unter Kontrolle halten konnte. Auch schien mir, dass über sprachliche Schwierigkeiten gerne hinweggesehen wurde, wenn kommunikative Fähigkeiten ein übriges taten. Die Situationen im freien Teil fragten elementares Vokabular ab und waren erfreulich lebensnah."

"Ich würde das weiterempfehlen".

Henny Rönneper, Januar 2002